3
Mai
2015
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Wer im Elfenbeinturm sitzt, soll nicht die Fenster einschmeißen.

Wer im Elfenbeinturm sitzt, umgibt sich mit einem wertvollen, wunderschönen, edlen Gebilde, das zum Zuhause aber auch zum Gefängnis werden kann. Vor allem zum Gefängnis des eigenen Horizonts. Denn wir verstehen diesen Turm heute vor allem im Sinne von Intellektualität, von Wissen oder Wissenschaft, in der wir ebenfalls zu Hause sein, von der wir aber auch komplett verschlungen, vereinnahmt oder auch eingemauert werden können. Und wenn dieses scheinbar so Wertvolle zu unserem einzigen Lebensraum wird, dann fällt es schwer, überhaupt noch etwas von der (echten) Welt außerhalb des schönen Turms wahrzunehmen.

Etwas einfacher gesagt: Menschen, die im sprichwörtlichen Elfenbeinturm sitzen, werden oft als Weltfremde betrachtet, als in ihrem Wissensgebiet Versunkene, als Fachidioten vielleicht sogar, die abgeschieden vom Rest der Welt ihrer Intellektualität frönen. Und oft wird ihnen vorgeworfen, genau das zu beabsichtigen: sich vom Rest der (ignoranten) Gesellschaft abzugrenzen, die eigene Wissenschaft nur im exklusiven Rahmen zu betreiben anstatt sie so aufzubereiten, dass sie auch von allen anderen verstanden wird.

Schöner, reiner Elfenbeinturm

Dabei ist das Bild des elfenbeinernen Turms an sich etwas sehr Schönes. Zumindest zu Beginn war es das. In der Bibel taucht es als Symbol für die Schönheit und Reinheit einer Geliebten auf , die im Hohen Lied (7,5) mit den Worten: „dein Hals ist ein Turm aus Elfenbein“ beschrieben wird. In seiner heutigen Bedeutung ist der Begriff in der französischen Literaturkritik Mitte des 19. Jahrhunderts als “tour d’ivoire” erstmals bezeugt und anscheinend wurde er von dort auch Anfang des 20. Jahrhunderts in den deutschen Sprachgebrauch übernommen.

Hilfreicher, wertvoller helfant

Das Elfenbein selbst hat eine noch viel längere Sprachgeschichte. Natürlich hat es nichts mit Elfen zu tun. Es bezeichnet die wertvollen Stoßzähne unterschiedlicher Tiere, allen voran der Elefanten. Und die sind auch Namensgeber – oder war es doch umgekehrt? Der althochdeutsche „helfant“ wurde wohl tatsächlich als das wahrgenommen, was in seinem früheren Namen zu stecken scheint: ein sehr hilfreiches, helf-endes Arbeitstier. Und obwohl ihn die Germanen noch lange nicht zu Gesicht bekommen hatten, kannten sie aus dem Handel mit Südost schon bald das edle Material, das von ihm stammte. Damals wurde mit „helfant“ noch sowohl das Tier als auch seine Stoßzähne bezeichnet. Erst etwas später kam die althochdeutsche Form „helfantbein“ hinzu, um die beiden Begriffe voneinander zu unterscheiden. Daraus entstand das mittelhochdeutsche „helfenbein“ und schließlich unser Elfenbein.

Zauberhafte Elfe oder böser Alb

Aber wäre eine Herleitung des Elfenbeins von den zauberhaften, anmutigen Elfen nicht doch auch denkbar? Diese Fabelwesen haben wiederum eine weniger helle Vergangenheit als ihre heutige Rolle als liebliche Lichtgestalten vermuten lässt. Das ursprüngliche deutsche Wort Elb oder Alb bezeichnete nämlich einst viel eher die „Unterirdischen“, also niedere Naturgeister des germanischen Volksglaubens, die von der Kirche mit Dämonen und gar dem Teufel in Verbindung gebracht wurden. Der Alb oder auch Nachtmahr („nightmare“) war ein koboldhaftes Wesen, das sich nachts auf die Brust der Schlafenden setzte und ein drückendes Gefühl der Angst auslöste. Bis heute ist uns dieser Dämon im Albtraum erhalten geblieben.

Ist der Elfenbeinturm dem Albtraum also vielleicht doch ganz nah? Vielleicht. Aber sprachlich gesehen ganz bestimmt nicht. Da ist es doch eindeutig die Schönheit und Reinheit des Elfenbeins, die zum Vergleich mit dem schönen Hochgeistigen geführt hat. Und irgendwie ist es ja vielleicht auch wirklich schön, sich unberührt von den Ereignissen, Problemen und Gefahren der restlichen Welt ganz in Ruhe mit etwas augenscheinlich so Wertvollem beschäftigen zu können, ohne auf irgendjemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Zumindest solange man nicht das Verlangen verspürt, aus dem Fenster zu sehen.

 

Urheberrecht Bild: Eduardo Gonzalez Diaz, 123rf

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