19
Mrz
2017
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„Ja, aber…” Die grausliche große Schwester der Wurschtigkeit.

Nur wenig ist nerviger als eine Dreijährige, die jede Bitte, Regel oder Anleitung mit „ja, aber“ kommentiert, um dann erst recht das zu tun, was sie von Anfang an tun wollte und was in 99% der Fälle nichts mit der ursprünglichen Bitte, Regel oder Anleitung zu tun hat. So eine unverfrorene Nichtzurkenntnisnahme des Gesagten und das sich so überhaupt nicht auseinandersetzen wollen mit der gesendeten Botschaft kann einen schon zur Weißglut bringen. „Nicht schlimm, sie wird es schon lernen“, bleibt dann als leise Hoffnung. Und in den meisten Fällen stimmt das auch. Es sei denn, aus den Ja-aber-Dreijährigen werden Ja-aber-Erwachsene. Solche, die ungerührt und unberührt über Botschaften hinweghorchen, -lesen und -denken, um weiterhin nur eine Realität zu sehen: die eigene.

Das ist beispielsweise manchmal zu beobachten, wenn schlimme Nachrichten aus weniger friedlichen oder privilegierten Teilen der Welt unsere First-World-Social-Media-Kanäle erreichen. Wenn da von zerbombten Städten, erfrierenden Flüchtenden oder Millionen an vom Hungertod bedrohten Menschen in Afrika berichtet wird, und die Reaktionen darauf sinngemäß lauten: „Ja, aber kein Wunder, die sind ja selbst Schuld, wenn Sie A) an die falsche Religion glauben, B) nicht Manns oder Frau genug, um in ihren zerbombten Städten zu bleiben oder C) unbedingt so viele Kinder kriegen müssen, dass nicht mehr genug zu essen für alle da ist.

Nun ist es ja zu verstehen, dass wir, die wir uns allen selbst die Nächsten sind, nicht unser gesamtes Leben, nicht unser gesamtes Gefühlsleben und auch nicht jede unserer Handlungen von der Trauer und Anteilnahme über das Unglück dieser Welt beherrschen lassen wollen. Wir müssen natürlich nicht permanent leiden, nur weil es Menschen gibt, denen dieses Unglück widerfährt. Und nicht jeder muss helfen oder etwas zu bewirken versuchen (obwohl gerade das ja oft hilft, unser eigenes Glück ein wenig gerechtfertigt zu sehen). Nicht einmal müssten wir alle gleich stark berührt sein von dem unvorstellbaren Leid, das ganze Städte und Länder an Menschen ertragen müssen, und zwar nicht, weil sie böse waren oder etwas falsch gemacht haben, sondern aus nur einem Grund: weil sie das Pech haben, dort geboren worden zu sein.

Ein „so etwas will ich nicht sehen” wäre zumindest noch ehrlich und als Reaktion nachvollziehbar, vor allem angesichts der Tatsache, dass es manchmal einfach zu schmerzhaft ist, hinzusehen und die ganze tragische Wahrheit, die Ungerechtigkeit in all ihrer Größe zu verinnerlichen. Das Grauen aus dem Kopf und dem Herz zu verbannen, auszublenden, ist dann vielleicht die einzig erträgliche Option. Selbst ein „ist mir wurscht ist, wenn auch nicht angemessen und doch sehr erschütternd, immer noch nicht die schlimmste Art, auf das Elend anderer zu reagieren. Warum wir übrigens Gleichgültigkeit im Deutschen ausgerechnet mit einer Wurst in Verbindung bringen, rührt sehr wahrscheinlich daher, dass die Wurst zwei gleiche Enden hat und es demnach gleichgültig, egal, einerlei oder eben wurscht ist, von welchem Ende man sie anschneidet. Das „egal, wie” wird in Form eines „mir doch egal” irgendwann zur kompletten Gleichgültigkeit.

Wurschtigkeit nennt man das dann auch. Ein Wort, das uns mit einer Portion Stumpfheit und Teilnahmslosigkeit entgegenkommt und meist nicht gerade als Tugend betrachtet wird. Doch immer noch ist auch die Wurschtigkeit verzeihlicher als ihre große, grausliche Schwester, das „Ja, aber” – das Nicht-Sehenwollen und Verleugnen von Tatsachen gepaart mit der Unverfrorenheit, uns überlegen, uns besser zu fühlen, Opfer zu Schuldigen zu machen, nur, damit es uns leichter fällt, unser Glück als normal oder gar als verdient anzusehen.

Manchmal wäre es wirklich wichtig, auch einmal den Mund zu halten, Botschaften zu hören, Wahrheiten zu ertragen und ein wenig Achtung zu zeigen.

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