11
Okt
2014
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Zu welchem Baum gehört der absteigende Ast? Und was hat das mit dem Inzestgesetz zu tun?

Wer auf dem aufsteigenden Ast sitzt, erlebt gerade eine großartige Entwicklung, ist auf einem guten Weg, ist von Erfolg gesegnet, für den läufts einfach. Auf dem absteigenden Ast sitzen hingegen jene, für die es gerade nicht so gut läuft, deren Erfolgskurve nach unten zeigt und die weiß Gott schon bessere Zeiten erlebt haben. So viel ist klar. Zu hören und zu lesen ist davon oft im Sport, wo es ja immer um Sieg oder Niederlage, um Aufsteigen oder Absteigen geht. Genauso wie in der Wirtschaft. Oder in der Politik. Aber sie alle geben keinen Aufschluss darüber, von welchem Baum nun eigentlich die Rede ist.

Wer sitzt auf dem absteigenden Ast?

Der Ursprung dieser Wendung liegt in der Stammbaumdarstellung von Adelsgeschlechtern. Für den europäischen Adel (und nicht nur für den) war es bis ins 20. Jahrhundert vollkommen üblich bzw. gewünscht, innerhalb der Verwandtschaft zu heiraten. Vor allem deshalb, weil man mit der eigenen Großartigkeit unter sich bleiben wollte. Da heirateten dann Cousins und Cousinen zweiten Grades oder auch ersten und alles blieb in der Familie. Vetternehe, wird diese Verbindung zwischen Blutsverwandten auch genannt, um nicht von Inzest zu sprechen. Trat jedenfalls dieser Fall ein, dann fehlten im Stammbaum zusätzliche Ahnen und die Familie kam „auf den absteigenden Ast“.

Tabu Geschwisterehe

Der absteigende Ast als Symbol für inzestuöse Strukturen? Rein biologisch führen Beziehungen zwischen nahen Verwandten auch nicht unbedingt zu einem Aufwärts-Trend. Im Gegenteil – Kinder von nahen Verwandten haben ein bedeutend höheres Risiko, an Erbkrankheiten zu leiden. Diese Thematik wurde kürzlich auch in den deutschen Medien diskutiert, als es darum ging, das gesetzliche Verbot von sexuellen Beziehungen zwischen Geschwistern zu überdenken. Anlass war der Fall eines sächsischen Gschwisterpaares, das zwar nicht miteinander aufwuchs, sich aber als Erwachsene kennenlernte, verliebte und vier Kinder zeugte. Die Familie ging bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und verlor. Der Mann wurde 2012 zu vier Jahren Haftstrafe verurteilt.

Der deutsche Ethikrat, bestehend aus 25 Naturwisseschaftern, Juristen, Theologen und Philosophen, stimmte dann im September mit einer 14 zu 9 Mehrheit (zwei Stimmenthaltungen) dafür, den „einvernehmlichen Beischlaf unter erwachsenen Geschwistern“ nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen, also den umstrittenen Paragraphen 173 abzuändern. Aufhebung des Inzestverbots? Bam! Und dann gab es einmal viele Kommentare.

Recht vs. Tabu

Die unterschiedlichen Reaktionen (und die Reaktion in uns selbst, wenn wir die Worte „Beischlaf unter Geschwistern“ lesen) zeigen, dass das breitgetretene Wort „Tabu“ in diesem Fall nun einmal wirklich eines ist. Die so genannte „Inzestscheu“ ist aber kein Phänomen unserer Gesellschaft, sondern anscheinend in den meisten Kulturen vorhanden. Das heißt, die meisten Menschen finden den Gedanken an Sex zwischen Familienmitgliedern – etwa von Geschwistern – ekelhaft. So auch einige Journalisten. „Der Ethikrat gehört abgeschafft“ las es sich da unter anderem. Oder etwas zurückhaltender: „Gibt es keine dringlicheren Probleme?“ Bestimmt gibt es die. Aber wie immer: für diejenigen, die es betriffft, gibt es wahrscheinlich gar nichts Wichtigeres im Leben.

“Die Familien und die Gesellschaft müssen vor Erbkrankheiten geschützt werden”, meinen viele und so auch das Gericht, das den sächsischen Mann verurteilt hat. Aber wie ist dieses Urteil auszulegen? Was ist dann im Falle von Menschen mit anderen anderen Riskiofaktoren? Menschen mit bekannten Erbkrankheiten? Dürfen die auch keine Beziehungen führen, keine Kinder zeugen? Soll das Gesetz bestimmen, wer sich fortpflanzen darf und wer nicht? Welches Leben lebenswert ist und welches nicht? Der Ethikrat lehnt diese Argumentation entschieden ab. Und es stimmt, dass diese Vorstellung sehr düstere Geschichte hervorruft.

Auch wenn es selbstverständlich schwerwiegendere Probleme zu lösen gibt, mich interessiert es schon, ob das Gesetz geändert wird. Und wenn ja, welche Reaktionen dann zu beobachten sein werden.

 

Urheberrecht Bild: 9moshi/ 123RF Stockfoto

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