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Mrz
2018
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Eine leise Sprache ist mir lieber!!!!!11einseinself

Wer nicht gehört wird, sagt es lauter. Und wer schreit, hat recht. Oder auch nicht, wie wir in unserem heutigen Reflektionsstadium oft schon erahnen. Denn im Grunde erhebt seine Stimme doch nur, wer nicht gut genug kommuniziert, um die Botschaft in Ruhe zu übermitteln bzw. mit ihr das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Wer sich schließlich weder mit leisen noch lauten Worten zu helfen weiß, versucht es mit Händen und Füßen, Fäusten oder Waffen. Auch das wissen wir und erleben es heute immer noch zu oft. Viel zu oft.

Und egal, wie viel wir wissen und wie reflektiert wir unserer Meinung nach sind, es gibt da eine Sprache, die uns alle trotz oder gerade wegen ihres immer stärker werdenden Gebrauchs regelmäßig an die Grenzen unserer Wortgewandtheit bringt, ja, uns oft nichts anderes übrig lässt, als zu schreien: die geschriebene.

„Der Normalfall braucht kein Ausrufezeichen – nur die Ausnahme“, wurde die Linguistin Ursula Bredel schon vor einigen Jahren in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zur inflationären Verwendung des Rufzeichens* zitiert. Denn so wurde das lautestes aller Satzzeichen ursprünglich eingesetzt: als Kennzeichnung von Ausnahmen (Defekt!), von Gefahren („Achtung!“) oder wichtigen Hinweisen („Nicht betreten!“). Irgendwann begann aber mit einer weltweiten Online-Vernetzung auch eine weltweite Online-Kommunikation – eine erst einmal vorwiegend schriftliche. Und plötzlich sollten wir schreiben können, wie wir reden: mit Ton und Ton-Nuancen, mit Untertönen und Zwischentönen, mit Gestik und Mimik, mit Stimmung und Lautstärke.

Dass es gar nicht einfach ist, Ironie, Herzlichkeit, Emotion, Witz, Humor, ein Augenzwinkern oder eine zwischen den Zeilen versteckte Botschaft allein durch Worte zu übermitteln, stellt uns in unseren geschriebenen Gesprächen seither immer wieder vor neue kommunikative Herausforderungen. Was es dann oft braucht, um unserer Sprache auf die Sprünge zu helfen, sind mit Bildern sprechende Emojis und ganz viele Rufzeichen.

Dass sie dort weitermachen sollen, wo die Wirkung unserer Worte an ihre Grenzen stößt, ist ihnen beiden gemein. Genauso wie die Tatsache, dass sie richtig eingesetzt oft mehr sagen können, als viele Worte. Doch wie auch in anderen Bereichen unserer Kommunikation gilt: mehr ist nicht unbedingt mehr, sondern sehr oft einfach zu viel. Und lauter ist nicht unbedingt klarer, sondern sehr oft einfach zu laut. Dann passiert sehr schnell etwas, das auch offline passiert, wenn uns alles zu viel und zu laut wird: wir hören auf, zuzuhören.

Schließlich sind es eben oft die leisesten Töne, die am meisten gehört werden und am lautesten nachhallen: Wenn alle durcheinanderschreien und eine sanfte, ruhige Stimme so lange weiterspricht, bis alle still werden, um sie hören zu können. Wenn uns die Ruhe des Gegenübers die eigene Rage hören und sehen lässt und uns hilft, einen Gang zurückzuschalten. Wenn unter all den „Superniedlich!!!!“, „Megasüß!!!!“ und „??????????!!!!!!!“ Kommentaren ein leises „Du Wunder.“ am meisten heraussticht und ins Herz geht.

„Eine leise Sprache ist mir lieber.“ wurde der Gugginger Dichter Ernst Herbeck unter anderem in der gleichnamigen Ausstellung seiner Werke zitiert. Jener Dichter, der seinen Mund aufgrund einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte als „disqualifiziert“ beschrieb und seine Sprache vielleicht nur deshalb so neue, besondere Wege gehen ließ, weil ihr die allgemein üblichen verwehrt blieben. Einer, der nicht funktionierte wie die meisten und deshalb einen Großteil seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt verbrachte. Einer, der nicht viel sagte, wie es heißt, doch mit seinen Worten so viele erreichte. Einer, an dessen Worte ich immer denken muss, wenn ich wieder einmal versucht bin, beim Schreiben zu schreien.

Und „wenn das Kunststück gelingt“, wie Kuratorin Gisela Steinlechner Herbecks Sprache beschrieb, „wird selbst Unerhörtes für Augenblicke wie mit Händen greifbar.“

 

*Das österreichische Ausrufezeichen ist ein Rufzeichen.

Urheber Bild: glebstock / 123RF

Zusätzliche (zu den hier erwähnten) Quellen:
Museum Gugging: Ausstellung Ernst Herbeck
Studylibde.com: Ernst Herbeck – Eine leise Sprache ist mir lieber
SZ Magazin: Total überzeichnet
zeit.de: Wo sind die Zwischentöne hin?

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