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Jan
2015
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Auf weiter Flur und ohne Mutterseele? So sprechen wir vom Alleinsein.

Was sich zum Jahresbeginn am wenigsten gut anfühlt, sind gute Vorsätze. Das Versprechen oder eher die Erwartung, bestimmte Dinge von nun an besser zu machen. Meistens heißt das, etwas, das wir lieben, nicht mehr zu tun bzw. etwas, das wir hassen, endlich öfter zu tun. Und immer steckt ein höheres Ziel dahinter. Nun besteht doch aber weitgehend Einigkeit darüber, dass positive Botschaften und Bilder viel motivierender sind als bloßer Druck von oben oder außen. Wie wäre es, die Liste an vermeintlich guten Vorsätzen dieses Jahr zu streichen und stattdessen eine Liste an echten Wünschen für 2015 zu verfassen? Dann bliebe noch die Frage: Was wünschen wir uns wirklich?

„Allein sein zu können, ist das Schönste, allein sein zu müssen, das Schwerste.“ Hans Krailsheimer

Auch wenn wir es nicht gerne allzu laut sagen, weil das schon so viele Kalendersprüche und Hollywoodfilme im Minutentakt für uns tun – ganz oben auf unseren Listen stehen Begriffe wie „Partner“, „Familie“ oder ein wenig allgemeiner: „Liebe“. Denn was wir im Grunde nicht wollen, ist, allein zu sein. Und damit meine ich nicht ein paar Stunden oder Tage Ruhe vor plappernden Kollegen und kreischenden Kindern. Das wünscht sich jeder manchmal (oder auch oft). Ich meine das echte Alleinsein, das Einsamsein, das Gefühl, alleine in der Welt zu stehen und eigentlich zu nichts und niemandem zu gehören.

Nicht ohne die Seele meiner Mutter?

Im Deutschen gibt es dafür den wunderbaren Begriff „mutterseelenallein“. Er drückt so treffend und beinahe romantisch aus, wie es sich anfühlt, so völlig alleingelassen. Wie es ist, ohne die Mutterseele.. Ich meine, ohne die Seele der Mutter. Oder doch seelenallein? Oder…? Hm?

Genau. Bei näherer Betrachtung ergibt dieser Begriff gar nicht so viel Sinn, wie es aufgrund seiner mit Emotionen gefüllten Einzelteile den Anschein macht. Woran das liegt? In diesem Fall an dem überhaupt nicht deutschen Ursprung dieses deutschen Wortes.

„Moi tout seul“ (wörtliche Übersetzung: „Ich ganz allein“) war ein Ausspruch der protestantischen Hugenotten, die ab Ende des 17. Jahrhunderts aus Frankreich ins Exil nach Berlin und Brandenburg flüchteten. Sie drückten damit ihr Gefühl der Entwurzelung und des Heimwehs aus. Für das deutsche Ohr klangen diese Worte am ehesten nach „Mutterseel“ und wurden so auch als eine Art phonetische „Übersetzung” verstanden und in den Sprachgebrauch übernommen. Um die eigentliche Bedeutung dieser Aussage auch im Deutschen zu verdeutlichen, wurde ihr irgendwann ein „allein“ hinzugefügt. Und als dieses „mutterseelenallein“ ist uns der Begriff bis heute erhalten geblieben.

Die weite Flur ist einsam, doch so angenehm ruhig und klar

Es gibt aber noch ein klareres, wenn auch weniger emotionales sprachliches Bild, das ausdrückt, wie allein wir uns wirklich fühlen können. Stehen wir „allein auf weiter Flur“, dann stehen wir da, in der Welt, ganz ohne jemanden in sicht- oder greifbarer Nähe. Die „Flur“ – heute meistens eine Bezeichnung für eine Parzelle eines Feldes oder im baurechtlichen Kontext auch für Grünland – bedeutete ursprünglich einfach „Land“ oder „Landschaft“. Das „weite Land“ beschreibt die Leere um uns herum – im Leben oder auch in Bezug auf unsere Überzeugungen und Ansichten. Denn auch mit ihnen können wir völlig allein dastehen, wenn sie kein Mensch so recht teilen mag.

Die Redewendung geht verschiedenen Quellen zufolge auf das Gedicht „Schäfers Sonntagslied“ von Ludwig Uhland zurück, das von dem inneren Gespräch eines einsamen Schäfers handelt:

Das ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur;
Noch eine Morgenglocke nur,
Nun Stille nah und fern!
 
Anbetend knie ich hier!

O süßes Grau’n, geheimes Weh’n!

Als knieten viele ungeseh’n

Und beteten mit mir!


 
Der Himmel nah und fern,

Er ist so klar, so feierlich,

So ganz als wollt’ er öffnen sich!

Das ist der Tag des Herrn!
 

Doch so traurig klingen sie gar nicht, die Gedanken des Schafhirten über das Alleinsein, die Stille und die Weite. Vielleicht, weil er sich als Teil einer „ungeseh’nen“, unsichtbaren Gemeinschaft fühlt. Vielleicht, weil sie so viel Klarheit und Freiheit bietet, die stille, weite Landschaft. Oder auch einfach, weil er weiß, dass er die Herde irgendwann wieder von der weiten Flur zurück nach Hause treiben wird, wo seine Familie, seine plappernden Kollegen und seine kreischenden Kinder auf ihn warten und er keine Sekunde mehr alleine verbringen wird.

3 Responses

  1. Erika Berger

    Die Unterscheidung zwischen “allein= all-eins” und “einsam” ist wahrscheinlich schon ein wenig abgedroschen. Aber ich hab mal die Formulierung gelesen: “aus der Einsamkeit ein produktives Allein-Sein zu machen, wäre eine wichtige Aufgabe.
    Wieder mal ein höchst gelungener Text !

    1. Nicola

      Danke!! Stimmt, “allein” kann vieles bedeuten, “einsam” ist da sehr viel konkreter. Wurde dort auch erklärt, was das “produktive Alleinsein” genau bedeutet? Wenn es tatsächlich um Produktivität geht, dann bin ich nicht sicher, ob sie so sehr gegen Einsamkeit hilft. Vielleicht aber die aktive Auseinandersetzung damit. Solche Fragen zu klären, ist wohl viel schwieriger, als die Herkunft der Wörter, die sie transportieren 🙂

  2. Erika Berger

    all-eins ist zwar mit keinem konkreten Menschen zusammen, aber trotzdem das Gefühl, mit allem verbunden zu sein. Einsamkeit bedeutet Isolation. und das produktive Alleinsein ist wohl ein Zustand oder eine Fähigkeit, aus sich selbst heraus etwas zu schaffen.

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