10
Jun
2015
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Bumstinazi! Wie viel Geschichte tragen wir auf der Zunge?

Aus Sicht eines Menschenlebens sind 70 Jahre eine lange Zeit. In Hin- und Rückblick auf das, was der Zweite Weltkrieg mit der Menschheit angerichtet hat – oder besser gesagt, was die Menschheit im zweiten Weltkrieg angerichtet hat, scheinen 70 Jahre aber wiederum recht kurz zu sein. Vielleicht zu kurz, um das Geschehene aufzuarbeiten. Von „wieder gut machen“ kann ohnehin nie und nimmer die Rede sein.

Oft bedeutet ein Ende nicht unbedingt, dass etwas hinter uns liegt. Vielmehr können uns traumatische Erlebnisse über viele Jahre und sogar über Generationen hinweg begleiten und prägen. Dass die Schrecken des Zweiten Weltkrieges bis heute ihre Kreise ziehen, darüber ist man sich weitgehend einig. Wie viel Kriegserbe wir heute tatsächlich noch in unseren Seelen und Köpfen tragen, lässt sich wohl schwer beziffern. Und wie viel wir davon auf der Zunge tragen, ist (uns) auch nicht immer klar.

Bumstinazi!, hörte ich mich einmal unwillkürlich sagen und im Gespräch mit anderen Müttern stellte sich heraus, dass dieser doch eigentlich abscheulich klingende Ausruf tatsächlich sehr verbreitet ist – als Reaktion auf Stürze, Kollisionen und andere Missgeschicke eines Kleinkindes und meistens im Sinne eines liebevollen „Hoppala!“. Dass hier tatsächlich der Nazi drin steckt, behauptet eine von zwei Erklärungen. Dieser zufolge geht der Ausruf „Bumst der Nazi!“ auf Sprengstoff-Attentate illegaler Nationalsozialisten zurück, die mit dieser Verschlüsselung zustimmend kommentiert wurden. Möglich ist jedoch auch, dass die Wendung auf den Schutzheiligen Ignatius von Loyola (kurz „Ignaz“ oder „Nazl“) verweist, der unter anderem als Patron der Kinder und Schwangeren gilt.

Noch ein wenig grauenhafter klingt es für unsere heutigen Ohren, etwas bis zur Vergasung zu tun. Die Assoziation mit den Konzentrationslagern erfolgt unweigerlich, auch wenn die Geschichte dieses Ausdrucks bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, wo er ursprünglich tatsächlich das Bild des physikalischen „zu Gas werdens“ als allerletzten Zustand eines langwierigen Prozesses beschrieb. Im Ersten Weltkrieg wurde die Wendung erstmals in Zusammenhang mit Giftgas verstanden, das damals bereits als Waffe eingesetzt wurde. Der Rest ist ebenfalls Kriegsgeschichte.

Ähnlich umstritten ist die Wendung durch den Rost zu fallen, denn das Bild des Eisengitters, das beim Verbrennen zur Trennung von groben Verbrennungsrückständen und Asche dient, wird ebenfalls häufig mit der Zeit des Nationalsozialismus assoziiert. Eine andere Erklärung meint allerdings, der Ausdruck gehe auf Laurentius von Rom zurück, der als christlicher Märtyrer 258 n.Chr. auf einem Gitterrost verbrannt wurde. Die tatsächliche Herkunft scheint nicht geklärt zu sein.

Klar ist hingegen der Ursprung von am Boden zerstört. Er geht nicht auf das Bild des verzweifelten, am Boden liegenden Menschen zurück, sondern hat seine Wurzeln im Sprachgebrauch der Luftwaffe der deutschen Wehrmacht. Am Boden zerstört waren gegnerische Flugzeuge, die vernichtet werden konnten, noch bevor sie ihren Angriffsflug gestartet hatten.

Für die vielleicht heftigste Debatte sorgte und sorgt die Wendung Jedem das Seine, die trotz ihrer eindeutigen Geschichte bis heute weder aus dem allgemeinen Sprachgebrauch noch aus den Medien verbannt werden konnte. Während nämlich die Inschrift „Arbeit macht frei“ an den Toren der Konzentrationslager Auschwitz I, Groß Rosen, Sachsenhausen, Dachau, Theresienstadt und Flossenbürg größtenteils bekannt ist, wissen nur wenige, dass an den Eingangstoren des Konzentrationslagers Buchenwald die eingeschmiedete Inschrift „Jedem das Seine“ zu lesen war und für die angebliche Gerechtigkeit der hier stattfindenden Verbrechen stehen sollte. Unwissenheit war wohl auch der Grund dafür, warum dieser historisch so belastete Ausdruck in den vergangenen Jahren immer wieder von der Werbung aufgegriffen wurde – von Marken wie Nokia, Rewe, Microsoft, Burger King, der Deutschen Telekom, der Münchner Merkur-Bank, der CDU und auch in einer Kampagne von Esso und Tchibo.

„Darf man dann überhaupt noch etwas sagen?“ Wird manchmal gefragt. Ist es vielleicht übertrieben, zu fordern, dass diese Wendung aus unserer Werbung oder gar völlig aus unserem Sprachgebrauch verbannt wird?

Stellen wir diese Frage doch am besten jenen Menschen der Generation unserer Großeltern oder Ur-Großeltern, die diese Inschrift vor ein bisschen über 70 Jahren mit eigenen Augen sehen mussten. Denn ja – es gibt sie ja noch, die Menschen, die all das miterlebt haben. Vor gar nicht soo langer Zeit.

 

Zusätzliche (zu den hier angeführten) Quellen:
bpb.de – Sprache und Politik – Jedem das Seine
spiegel.de – CDU stoppt Kampagne Jedem das Seine
Comandantina Dusilova – Fragen Sie Frau Andrea – Bumstinazl

Bild: Karol Gröpler

 

Die hier genannten Begriffe und Wendungen stellen selbstverständlich eine persönliche Auswahl dar. Das Sprachperlenspiel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist sich der Tatsache bewusst, dass mit diesem Artikel nicht die Gesamtheit der vom Nationalsozialismus geprägten Sprache abgedeckt werden kann.

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2 Responses

  1. Andorra

    “Durch den Rost zu fallen” ist ein Begriff aus dem mittelalterlichen Verhüttungsgewerbe. Das Roherz wurde vor der Weiterverarbeitung geröstet (also erhitzt) um unerwünschte Stoffe auszutreiben und das Erz mürbe zu machen, bevor es in Rennöfen weiterverarbeitet wurde. Wenn es dabei “durch den Rost fiel”, fiel es eben in die Schlacke, was man zu vermeiden trachtete.

  2. Firmian

    Der Spruch “Jedem das Seine” wurde von den Nazis sarkastisch auf den KZ-Toren benutzt, aber ist natürlich wesentlich älter.

    Friedrich der Große prägte den Spruch “Jeder soll nach seiner Facon selig werden” – und die lateinische Version “Suum cuique” schmückte ab 1701 den höchsten preußischen Orden, den Schwarzen Adlerorden.

    Aber auch die Preußen haben den Spruch nicht selbst erfunden, sondern schon Kaiser Justinian legte fest: iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, SUUM QUIQUE tribuere.

    Man könnte jetzt noch weiter in die Vergangenheit gehen bis zu Plato, aber das muss ja nicht sein.

    Grüße aus Wien

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