20
Jun
2015
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Gib Ruhe, lass mich in Frieden und halt’s Maul. Das Leben ist laut.

In unserem Leben, in dem wir alles immer noch ein bisschen schneller, effizienter und besser machen wollen, um auch wirklich das Allermeiste aus Karriere, Beziehung, Kindern, Körper, Aussehen und vor allem aus unserer Zeit herauszuholen, sehnen wir uns oft nach einem: Ruhe. Und vielleicht hat dieses Verlangen nach Ruhe und Frieden und Stille im Kopf etwas damit zu tun, dass allein in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen tablettenabhängig sind. Süchtig nach Ruhestellung. Aber was stört die Ruhe und was sagt unsere Sprache eigentlich dazu?

„Es ist, als wiege das Sediersystem die Welt in einen großen Schlaf.“ Schreibt Anne Kunze in ihrem Artikel* über die oft unterschätzte Tablettenabhängigkeit in Deutschland und dem Rest der westlich geprägten Welt. Was sie meint, ist, dass es aus Sicht von Pharmaindustrie, Behörden und Ärzten gar nicht so sehr von Nachteil ist, wenn sich die Bevölkerung selbst ein wenig ruhig stellt. Und das tut sie schon seit den frühen 1960er-Jahren, als Schlaf- und Beruhigungsmittel erstmals für alle verfügbar waren. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 18,7 Millionen Packungen davon verkauft.

Dass die Ruhe zum Einnehmen ein Verkaufsschlager wurde, ist aber keine Überraschung. Denn auf Knopfdruck von allen Sorgen, Belastungen oder sogar Ängsten befreit zu sein, das ist doch sehr verlockend. In einen ruhigen, kilometertiefen Schlaf sinken zu können, für eine kurze Zeit nicht denken, nicht grübeln zu müssen – das ist auf natürliche Weise gar nicht immer leicht. Denn Ruhe ist das, was wir nicht entscheiden können, was wir nicht einmal durch harte Arbeit, große Anstrengung oder ganz viel Geld erreichen können. Im Gegenteil – meistens wird das Leben durch all das noch unruhiger.

Die sprachliche Ruhe

Aber wie fühlt sich die Ruhe an und woher kommt sie? Sie definiert sich als ein „sich durch Nichtstun erholen“, ein „nicht in Tätigkeit sein“, „nicht in Betrieb sein“. Und so klingt sie tatsächlich nicht weit weg von einem „Abschalten” oder„Ausschalten”. Sie beschreibt sich auch als „Zustand beschaulicher Untätigkeit”, als „Entspannung”, „Erholung” und „Gelassenheit”. Kein Wunder, dass wir uns die Ruhe wünschen, wenn sie all das mit sich bringt.

Ein Lass mich in Ruhe! bedeutet also vielleicht viel mehr, als nur von nervigen Fragen oder Angriffen verschont zu bleiben. Es bedeutet ein „belaste mich nicht damit!“ Denn genau das ist es ja, was uns die Ruhe nimmt – die Belastung und das Belastet-sein. Durch etwas, das uns auf der Seele liegt und im Kopf herumspukt, ein Unruhezustand in Geist und folglich oft im Körper – oder auch umgekehrt. Manchmal wollen wir einfach zufrieden gelassen, in Frieden gelassen werden. Und dass das Wort “Friede” auf dieselbe sprachliche Wurzel zurückführt wie das Wort “frei”, erzählt uns noch mehr über unseren Wunsch nach Seelenruhe – nach “Freisein”, nach “unabhängig”, “unbelastet” und “nicht beengt” sein.

Es sind auch oft die eigenen Gedanken, die eigene Stimme oder die der anderen, die uns keine Ruhe lassen. Die fehlende Stille also. Sie ist der Definition nach ein „durch kein lärmendes, unangenehmes Geräusch gestörter (wohltuender) Zustand“, nach dem wir uns ebenfalls sehnen, um selbst ruhiger zu werden. Und das sagen wir auch oft ganz deutlich. Mit einem Sei still! zum Beispiel, mit dem wir andere oder auch uns selbst zum Schweigen bringen wollen. Noch klarer vielleicht mit einem:

  • Halt den Mund!
  • Halt’s Maul!
  • Halt die Fresse!
  • Halt die Schnauze!
  • Halt die Klappe!
  • Halt den Rand! ¹

Oder auch ein wenig österreichischer mit:

  • Hoit de Pappm!
  • Hoit de Goschn!
  • Hoit de Pfeifn! und
  • Hoit in Schlapfen! ²

Wir haben also eine recht große sprachliche Palette an Ausdrücken zur Verfügung, um uns gegen diejenigen zu wehren, die wir nicht hören wollen, weil uns ihr Gerede belastet und die Stille, die Ruhe nimmt. Viel schwieriger ist es allerdings, den störenden Lärm in unserem Kopf und die Last auf der Seele dazu zu bringen, doch bitte endlich die Fresse zu halten. Vor allem dann, wenn die Windmühlen, gegen die wir kämpfen, wie ein Hirngespinst wirken. Haben wir denn überhaupt berechtigte Sorgen? Vielleicht übertreiben wir ja auch einfach, sind verweichlicht und hysterisch.

Von der kranken Scheinruhe zur gesunden Unruhe 

Ein Werbeslogan für ein Beruhigungsmittel im Jahr 1970 lautete: „Keine Scheinlösung für Probleme, sondern eine Lösung für Scheinprobleme.“ Auch das erwähnt Anne Kunze in ihrem Artikel. Und sie zitiert den Arzt einer Entzugsklinik, der erzählt, dass die behandelten Tablettensüchtigen nach einem Entzug zwar in vielen Fällen clean bleiben, dann aber oft auf Probleme in Familie und Partnerschaft stoßen, weil es den Menschen um sie herum scher fällt, mit der neuen Un-Ruhe, dem nicht-sedierten Willen und dem klaren, eigenen Kopf der ehemals Ruhiggestellten umzugehen. Die wiederum fühlen sich aber vielleicht ruhiger als je zuvor. Vor allem dann, wenn sie einen Weg gefunden haben, den Lärm und die Last anderweitig loszuwerden. Oder ein Leben zu führen, dass die Ruhe ein bisschen weniger stört.

 

 


 

*Anne Kunze: „Bleiben Sie jetzt bloß nicht ruhig!“, in Die Zeit, Nr. 24, 11. Juni 2015, S. 19ff.

¹ Zur Herkunft: Halt’s Maul! – Das Maul der Tiere wird schon seit dem Mittelhochdeutschen als derber Begriff für den Mund von Menschen gebraucht. Halt die Fresse! – Verwendet seit dem 17. Jhdt., kommt die Fresse vom Verb „fressen“. Halt die Schnauze! – Die Schnauze ist verwandt mit dem Wort „Schnute“. Halt die Klappe! – Eine Klappe war zunächst ein Gegenstand, der mit einem Geräusch auf etwas auftrifft. Später wurde daraus eine Vorrichtung zum Verschließen und Auf- und Zuklappen und so zum Sinnbild für den Mund. Halt den Rand! – Der Rand hatte ursprünglich die Bedeutung einer Einfassung oder eines Rahmens. Daraus entstand im 19. Jahrhundert die übertragene Bedeutung von „Mund“.

² Zur Herkunft: Hoit de Pappm! – Verwandt mit dem Wort „Papp“, das lautmalerisch einen Kinderbrei bezeichnete (bereits im 15. Jhdt.). Hoit de Goschn! – Die Herkunft von „Gosche“ ist nicht ganz klar, aber ist wohl mit dem lateinischen „geusiae“ für „Mund“, „Rachen“ verwandt. Hoit de Pfeifn! – Stammt von dem Vergleich von Pfeife und Nase. Hoit in Schlapfen! – Die „Schlappe“ war schon früh ein (oft abwertender) Begriff für „Mund“ und hat seine Wurzeln laut Deutschem Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wohl nicht im Schuh, sondern in den Wörtern „schlappen“, „schlabben“, „lecken“, „schlürfen“.

 

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