Silvester ist heilig. Der gute Rutsch ist deutsch.
Religion hat gerade keinen guten Ruf – vor allem die der anderen. Und weil wir die vielen Grauenhaftigkeiten so verabscheuen, die im Namen des angeblichen Glaubens verbrochen werden, sind viele von uns sogar geneigt, Religion ganz und gar abzuschaffen oder zumindest zu ignorieren. Religiöse Feste wie Weihnachten und Ostern wollen wir zwar nicht ganz streichen, aber möglichst unreligiös feiern. Ohne Krippe und Jesuskind neben dem Baum, dafür mit Familie. Ohne Auferstehungsgeschichten zu Ostern, dafür mit Hasen und Eiern. Spätestens zu Silvester können wir wieder ohne innere Konflikte feiern und uns gegenseitig gute Wünsche aussprechen, denn das neue Jahr kommt auch ohne Religion. Das heißt, nicht ganz.
Silvester: der Papst und Waldmensch
Denn der vorzugsweise möglichst gottlos gefeierte letzte Abend des Jahres erhielt seinen Namen ursprünglich zu Ehren Papstes Silvesters I, der im Jahre 335 am 31. Dezember gestorben ist. Seit Einführung des Gregorianischen Kalenders 1582 schließen wir das Jahr in seinem Namen ab, genauso wie die Italiener (San Silvestro), die Franzosen (réveillon de la Saint Sylvestre), die Polen (sylwester) und die Tschechen (silvestr). Die meisten anderen Länder begehen in ihren Sprachen entweder den Altjahrestag oder den Neujahresabend. Was sprachlich gesehen wohl auch etwas sinnvoller ist, da Silvester nicht „Jahreswechsel” bedeutet, sondern „Waldmensch“.
Der gute Rutsch: wohl ziemlich deutsch
Auf jeden Fall, so können Religionsgegner immer noch argumentieren, wünschen wir ja aber nicht alles Gute zu Silvester, sondern für das neue Jahr. Und in den meisten Fällen ohnehin einen guten Rutsch. Der Ursprung dieser etwas eigenwilligen Formulierung, die als Neujahrswunsch auch nur im Deutschen zu existieren scheint, wurde oft untersucht und nie ganz sicher bestätigt.
Einige vermuten ihn im hebräischen „Rosch Haschana“, das „Kopf des Jahres“ bzw. „Neujahr“ bedeutet, und gehen von einer Entlehnung aus dem Rotwelschen aus. Die vorliegenden Quellen und Herleitungen lassen jedoch vermuten, dass die Erklärung viel einfacher und deutscher ist, als manche denken. Denn wie schon die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch anmerkten, kann der „Rutsch“ auch sinnbildlich als „Reise“ verstanden werden. Und genau als solche erleben wir sie doch oft – die Zeit, das Jahr, sein Ende und seinen Neuanfang. Bleibt die Frage, warum damals, irgendwann um 1900, ausgerechnet der Rutsch zum guten Wunsch wurde, und nicht der „Schritt“, der „Sprung“ oder ganz einfach der „Wechsel“. Es sei betont: wir wissen es nicht. Und doch kann es kein Zufall sein, dass das Rutschen in den Sinn kommt, wenn wir davor stehen, ein neues Jahr, einen neuen Abschnitt unserer Reise zu beginnen. Spielerisch, irgendwie, wie wir das Rutschen kennen. Schnell und auch ein wenig unkontrolliert, denn wer einmal rutscht, muss schließlich runter. Und gleitend, reibungslos fühlt es sich an, das Rutschen, das einfach passiert, sobald wir uns der Rutschbahn hingeben und die Schwerkraft das ihrige tut. Einfach ist das dann und ohne Anstrengung geht es, wenn wir es nur geschehen lassen.
Vielleicht können wir also genau so ins neue Jahr starten – spielerisch, ein wenig unkontrolliert bzw. etwas weniger kontrolliert, reibungslos und ohne Kraftaufwand. Das wäre doch schön. Und wenn aus dem neuen ein frohes Jahr wird, dann ist überhaupt alles gut, nicht nur der Rutsch.
Zusätzliche (zu den hier genannten) Quellen:
Jüdische Allgemeine: Rutsch, Rosch und Rausch
Bremer Sprachblog