21
Jan
2015
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Raunzen, Besucherritze oder Liebesbrücke. Wofür haben wir die meisten Wörter?

Es gibt da ja die Theorie, dass Sprachen immer für die Dinge oder Zustände die meisten Wörter haben, die in der jeweiligen Kultur eine besonders große Rolle spielen. Jahre- oder jahrzehntelang war dafür der Schnee in den Eskimo-aleutischen Sprachen das Vorzeige-Beispiel, auf der Behauptung aufbauend, dass diese Sprachen bis zu 400 verschiedene Wörter für die unterschiedlichen Arten von Schnee hätten.

Nur leider stimmt das gar nicht. Die Tatsache, dass sich der Eskimo-Sprachen-Mythos dennoch so hartnäckig hält, hat führende Sprachwissenschaftler bereits mehrfach zur Weißglut getrieben. Eine Aufklärung des Sachverhalts findet sich zum Beispiel in dieser linguistischen Abrechnung.

Die raunzenden Österreicher und die Bettritze der Weinviertler

Insgeheim und ganz unwissenschaftlich glaube ich jedoch weiterhin daran, dass wir für das, womit wir uns am meisten beschäftigen, auch den vielfältigsten Wortschatz haben oder eben schaffen. Ich finde zum Beispiel, es kann kein Zufall sein, dass die (Ost-)Österreicher gar so viele Wörter und Dialektbegriffe für „jammern“ und “herumheulen” haben, wie etwa raunzen, sudern, sempern, seidln, rean, bitzeln, benzn, blazn, plärren oder zezn.

Vermehrt über diese Theorie nachdenken muss ich auch, seit ich in meinem neu erworbenen Weinviertler Dialektlexikon (1) sage und schreibe sieben bzw. zumindest sechs unterschiedliche Begriffe für etwas gefunden habe, das als hochdeutsches Wort nicht einmal im Duden zu finden ist: die Bettritze – also der Spalt zwischen zwei einzelnen Matratzen eines Doppelbetts. Im österreichschen Weinviertel anscheinend je nach lokalem Dialekt auch so genannt:

  • Floh-Rinna
  • Floh-Grunsn
  • Schoas-Glunsn
  • Schoas-Rinna / Schas-Rinna
  • Strei-Bahm
  • Ludsch

Das Lexikon liefert zwar meistens hochdeutsche „Transkriptionen” der gelisteten Begriffe, jedoch nur teilweise auch die entsprechenden Übersetzungen und eigentlich nie eine Herkunftserklärung. Die oben genannten Begriffe werden darin gar nicht weiter erklärt, deshalb versuche ich es einmal selbst: Der Floh ist klar, die Rinne auch. Für diejenigen, die sich bei Schoas bzw. Schas nicht ganz sicher sind – dabei handelt es sich nicht um ein menschliches Exkrement, sondern um eine entweichende Blähung, also einen Furz. Beim Rest wird es schon schwieriger. Einzig im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm konnte ich zumindest das Wort Glunze mit der Bedeutung „Spalt“ bzw. „Ritze“ finden. Grunsn war hingegen gar nicht ausfindig zu machen. Streibahm würde ich als „Streubaum“ deuten. Der wiederum bezeichnet laut demselben Wörterbuch eine „holzstange, die den pferdestand im stalle abgrenzt“. Das wäre zumindest ein passendes Bild. Und was Ludsch bedeutet – ich habe keine Ahnung.

Der Ritze Lösung: die Liebesbrücke

Ich fragte mich also, woher diese Vielfalt an Begriffen für diese doch eher unbedeutende Sache kommen mag. Und reden die Weinviertler wirklich so viel über den Spalt zwischen ihren Matratzen? Bei etwas genauerer Auseinandersetzung zeigte sich, dass diese Ritze ganz und gar nicht unbedeutend ist, sondern für viele – auch Nichtweinviertler – ein echtes Problem darstellt. Auch für dessen Lösung (nämlich einen Schaumstoff-Keil, der den Spalt verschließen und möglichst unspürbar machen soll) lassen sich nicht nur ganze Webshops sondern auch gleich fünf unterschiedliche Bezeichnungen finden:

  • Liebesbrücke
  • Doppelbettbrücke
  • Ritzenfüller
  • Lückenfüller
  • Matratzenkeil
Von der Besucherritze zur Bedgina

Aber zurück zur Bettritze: Meine persönliche Umfrage unter Bewohnern aller neun österreichischen und auch einiger deutscher Bundesländer hat ergeben, dass tatsächlich die meisten von einer Ritze oder Bettritze sprechen. Der Begriff ist zwar, wie gesagt, in keinem meiner Wörterbücher zu finden, doch hat es zumindest die Besucherritze mit der Zusatzinformation „scherzhaft“ in den Duden geschafft.

Einen ähnlich vielfältigen Bettritzen-Wortschatz wie den der Weinviertler konnte ich in keinem anderen Dialekt ausfindig machen. Im Schwäbischen gibt es wohl zumindest den umgangssprachlichen Begriff Gräbele, also “kleiner Graben”. Wie das in anderen Sprachen aussieht, wäre interessant herauszufinden. Vor allem auch, weil das Ergebnis stark von der Bettensituation der jeweiligen Kultur abhängen wird. In den USA sind Doppelmatratzen-Betten zum Beispiel gar nicht so üblich. In England kommen sie angeblich auch eher selten vor. Und falls sie doch auftauchen, wird am ehesten von einem gap (bzw. space) between two mattresses gesprochen. Oder – wie ich durch eine etwas weniger seriöse Quelle herausfand – auch von bedgina oder snack-crack. Die erklären sich aber Gott sei Dank von selbst.

 

Nachtrag:
Eine aufmerksame Kärntner Leserin nannte uns ein weiteres Wort für “jammern”, nämlich tschentschn – es darf hier natürlich auf keinen Fall unterschlagen werden.
 
Und schon wieder eine Anmerkung:
Das Sprachperlenspiel ist sich darüber im Klaren, dass es sich bei den genannten Wörtern für z.B. “Bettritze” nicht um verschiedene Bedeutungsnuancen sondern um lokal unterschiedliche Dialektbegriffe handelt und diese deshalb 1) nicht für die im ersten Absatz genannte Theorie sprechen können und 2) natürlich nicht aussagen, dass die Weinviertler Bevölkerung übermäßig gerne über Bettritzen spricht. Warum wir uns diese eher spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema erlauben, erklären wir etwas ausführlicher hier.
 
(1) Staribacher, Michael: Weinviertler Dialektlexikon, Band 1, 2013, Verlag Günther Hofer
 
 

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Hackeln, barabern, malochen. Wir arbeiten nur für’s eigene Leben gern.
Weinen ist lächerlich, schwach und böse. Meint zumindest die Sprache.

4 Responses

  1. Hi Nicola,

    obwohl ich in meinem eigenen Bett keine Besucherin bin, liege ich regelmäßig am nächsten Morgen in der Besucherritze. Da kommt man dann schon ins Rean! Rean und plärren kenne ich übrigens auch aus meinem und vor allem dem Wortschatz von meinem Opa (wir sind aus Oberbayern).

    Sehr lustiger Artikel, mehr davon!

    1. Nicola

      Vielen Dank, Kathi!
      Ich kenne das – ich habe zwar eine Besucherin, aber trotzdem bin ich es, die ebenfalls meistens in der Ritze landet.
      Es wäre einmal interessant, wie viel Dialekt die Österreicher und Bayern tatsächlich verbindet – da gibt es ja jede Menge. Dein Opa hat dann bestimmt noch viele weitere Schätze auf Lager, ich hoffe, er hat ganz viele davon weitergegeben 🙂

  2. Roland

    Hi!
    Im wörterbuchnetz für mittelhochdeutsch (http://woerterbuchnetz.de/) finden sich Hinweise auf den möglichen Ursprung für Ludsch. Im kärntnerischen dürfte Ludel für (Wasser-)Rinne stehen, im elsässischen Lutt für Loch. Und die Nähe der Begrifflichkeiten vom englischen bedgina und Ludsch könnte man auch noch einwerfen.
    übrigens toller blog, bin in den letzten wochen ein paar mal darüber gestolpert, werd jetzt öfter vorbeischauen.
    lg

    1. Nicola

      Ja hervorragend! Vielen Dank für den Hinweis (und dafür, dass du vorbeischaust)! Sehr interessante Fährte, das schau’ ich mir gleich an. Danke 🙂

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